Als kleine Aufmerksamkeit zum 3. Jahrestag der Tysabri-Wiederzulassung habe ich euch zu den ersten zehn PML-Fällen – aus allen mir zugänglichen Quellen – die wichtigsten Informationen destilliert.
Leider sind die Verläufe/Resultate der Ausbrüche wenig feierlich. Die Formulierung «gut behandelbar» ist eben doch ein Euphemismus.
(Die folgenden Angaben mache ich ohne jede Gewähr. Quellen sind Unternehmenskreise und Angehörige. Ich verweise ausdrücklich auf den Disclaimer. Korrekturvorschläge könnt ihr im Kommentarfeld hinterlassen.)
-
1. Fall – 01.07.2008
37 Jahre, männlich, EU (Schweden), 17 Monate Therapie
Vorangegangene Therapien: keine
Neuropsychologische Symptome: keine Angaben
Physiologische Symptome: Muskelzuckungen (Myoklonus) und Schwäche des linken Arms.
MRT-Befund: atypische hyperintense T2-gewichtete Läsion ohne Kontrastmittelanreicherung im rechten motorischen Cortex.
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF nachweisbar
Behandlung: Fünf Plasmapheresen (PLEX) und Mirtazapin®. Vier Wochen nach Beginn der PLEX entwickelte der Patient ein Immune Reconstitution Inflammatory Syndrome (IRIS), das mit Steroiden behandelt wurde.
Ergebnis: Nach drei Monaten war der Myoklonus verschwunden. Eine Schwäche des linken Arms blieb jedoch erhalten. Der Patient konnte mit einseitiger Unterstützung (Krücke?) 300 Meter gehen. -
2. Fall – 01.07.2008
52 Jahre, männlich, EU (Deutschland), 14 Monate Therapie
Vorangegangene Therapien: Azathioprin und Beta-Interferon
Neuropsychologische Symptome: kognitive Defizite
Physiologische Symptome: langsam voranschreitende halbseitige Lähmung
MRT-Befund: MS-untypische Läsionen ohne Kontrastmittelanreicherung
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF nachweisbar
Behandlung: Plasmapherese (PLEX), Immunadsorption (IA) und Mefloquin. Vier Wochen nach Beginn der PLEX entwickelte der Patient ein Immune Reconstitution Inflammatory Syndrome (IRIS), das mit Steroiden behandelt wurde.
Ergebnis: Ungefähr sechs Monate nach der PML-Diagnose galt der immer noch bettlägerige Patient als austherapiert und wurde aus dem Krankenhaus entlassen. -
3. Fall – 30.10. 2008
59 Jahre, weiblich, US, 14 Monate Therapie
Vorangegangene Therapien: Beta-Interferone und Copaxone® (Glatirameracetat). Zusätzlich wurde eine Fibromyalgie mit Methotrexat behandelt.
Neuropsychologische Symptome: Sprachverlust (Aphasie)
Physiologische Symptome: keine Angaben
MRT-Befund: multiple Läsionen ohne Kontrastmittelanreicherung im Übergansbereich zwischen grauer und weißer Hirnsubstanz in der bifrontalen, bitemporalen und der linksseitigen parieto-occipitalen Region.
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF nachweisbar
Behandlung: Drei Plasmapherese-Zyklen (PLEX) und Mefloquin. Vier Wochen nach Beginn der Therapie entwickelte die Patientin vermutlich ein Immune Reconstitution Inflammatory Syndrome (IRIS) und konnte nur noch palliativmedizinisch behandelt werden.
Ergebnis: Die Patientin verstarb im Dezember 2008. -
4. Fall – 11. 12. 2008
57 Jahre, männlich, EU (Deutschland), 26 Monate Therapie, Teilnehmer TYGRIS-Studie.
Vorangegangene Therapien: Beta-Interferon
Neuropsychologische Symptome: Wordfindungs- und räumliche Wahrnehmungsstörungen
Physiologische Symptome: keine Angaben
MRT-Befund: diffuse Läsionen in der parieto-occipitalen Region
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF nachweisbar
Behandlung: Vier Zyklen Immunadsorption (IA) und Mefloquin. Vier Wochen nach Beginn der Therapie entwickelte der Patientin eine Immune Reconstitution Inflammatory Syndrome (IRIS). Unter Steroid-Behandlung verbesserte sich die Symptomatik.
Ergebnis: Der Patient ist kommunikationsfähig, leidet an einer anhaltenden Halbseitenlähmung und sich verbessernden Gesichtsfeldausfällen (Hemiparese & Hemianopsie). -
5. Fall – 06.02. 2009
42 Jahre, weiblich, EU (Deutschland), 14 Monate Therapie
Vorangegangene Therapien: Mitoxantron
Neuropsychologische Symptome: Ungefähr zwei Wochen vor der definitiven PML-Diagnose entwickelte die Patientin Persönlichkeitsveränderungen.
Physiologische Symptome: keine Angaben
MRT-Befund: signifikante Läsion im Frontalhirn
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF erst bei der zweiten Untersuchung nachweisbar
Behandlung: Vier Zyklen Immunadsorption (IA) und Mirtazapin®. Die Patientin entwickelte partielle und später generalisierte epileptische Anfälle, die mit Valproinsäure behandelt wurden. Wegen Anstieg der Körpertemperatur wurde auf eine Steroid-Behandlung verzichtet.
Ergebnis: Die Patientin wurde Ende März mit ausgeprägten Paresen der unteren Extremitäten aus dem Krankenhaus entlassen. -
6. Fall – 15.04. 2009
43 Jahre, weiblich, EU, 31 Monate Therapie
Vorangegangene Therapien: keine Angaben
Neuropsychologische Symptome: Sprachverlust (Aphasie)
Physiologische Symptome: Halbseitenlähmung rechts (Hemiparese)
MRT-Befund: multiple Läsionen von denen einige Kontrastmittel anreicherten
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF nachweisbar
Behandlung: Aufgrund des MRT-Befundes wurde die Symptomatik zunächst als MS-Schub interpretiert und mit Steroiden behandelt. Es trat jedoch keine Verbesserung ein. Erst der Nachweis von JC-Virus-DNA im Liquor führte zur PML-Diagnose und die Tysabri-Therapie wurde abgebrochen. Es folgten Plasmapherese (PLEX) und eine Behandlung mit Mefloquin.
Ergebnis: Die Patientin entwickelte Status epilepticus mit fortgesetzter Anfallsaktivität. Ende April 2009 konnte sie die Augen öffnen und war bewegungsfähig. Sie musste jedoch beatmet werden. -
7. Fall – 18.05. 2009
35Jahre, weiblich, US, 24 Monate Therapie
Vorangegangene Therapien: Rebif® (interferon beta-1a), Avonex® (interferon beta-1a), und Copaxone® (Glatirameracetat)
Neuropsychologische Symptome: Verwirrungszustände und Persönlichkeitsveränderungen (Teilnahmslosigkeit)
Physiologische Symptome: Linksseitiges Taubheitsgefühl im Gesicht, verwaschene Sprache und linksseitige Muskelschwäche.
MRT-Befund: Ein erstes MRT wurde als schlaganfalltypisch interpretiert. Eine zweite Untersuchung zeigte dann eine große Läsion ohne Kontrastmittelanreicherung in der rechten Frontal- und Parietal-Region.
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF nachweisbar
Behandlung: Fünf Plasmapherese-Zyklen (PLEX) und Mefloquin.
Ergebnis: Die Symptomatik blieb unverändert und die Patientin kam Ende Mai in Rehabilitation. -
8. Fall – 10.06.2009
45 Jahre, weiblich, EU, 35 Monate Therapie / Teilnehmerin SENTINEL- und STRATA-Studie
Vorangegangene Therapien: Mitoxantron, Avonex®
Neuropsychologische Symptome: keine Angaben
Physiologische Symptome: Sensibilitätsstörungen (Parästhesie) in den unteren Gliedmaßen und ein leichter beidseitiger Gesichtsfeldausfall (homonyme Hemianopsie).
MRT-Befund: Eine atypische subkortikale Läsion in der linken Occipital-Region.
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF erst bei der zweiten Untersuchung nachweisbar
Behandlung: Die Patientin ist zuhause und plant eine Plasmapherese (PLEX).
Ergebnis: offen -
9. Fall – 16.06. 2009
35 Jahre, weiblich, EU, 34 Monate Therapie / Teilnehmerin an SENTINEL- und STRATA-Studie
Vorangegangene Therapien: Rebif® (interferon beta-1a), Avonex® (interferon beta-1a) und Mitoxantron
Neuropsychologische Symptome: keine Angaben
Physiologische Symptome: Sehstörungen, Schwäche der linken Hand
MRT-Befund: In aufeinanderfolgenden Untersuchungen zeigte sich eine schnell größenwerdende Läsion mit Kontrastmittelanreicherung im rechten Frontotemporal-Lappen.
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF erst nach mehrmaligen Untersuchungen nachweisbar
Behandlung: Ende März litt die Patientin unter abnehmender Sehschärfe. Diese wurde als MS-Schubsymptom gedeutet und erfolglos mit Steroiden behandelt. Am 14. Juli wurde sie schließlich hospitalisiert, durchlief drei Zyklen Immunadsorption (IA) und erhielt Mirtazapin®.
Ergebnis: offen (Anfang Juli 2009) - 10. Fall – 23. 06. 2009
27 Jahre, männlich, EU, 30 Monate Therapie
Vorangegangene Therapien: Beta-Interferon, Copaxone®, IVIG
Neuropsychologische Symptome: keine Angaben
Physiologische Symptome: Schwäche der rechten Hand
MRT-Befund: Läsionen ohne Kontrastmittelanreicherung im linken motorischen und parietalen Cortex.
Liquor-Befund: JC-Virus-DNA im CSF nachweisbar
Behandlung: Plasmapherese (PLEX)
Ergebnis: derzeit (Anfang Juli 2009) stabil